Fotos: Velux
Auktionstag. Christian Kattler ist im Ersteigerungsfieber. Er hebt die Hand, um seinen Gegner zu überbieten. Zuhause ahnt seine Frau Bibi nicht, dass er soeben ein Haus gekauft hat. Nun muss er ihr beichten, dass er das zwangsversteigerte Haus noch nicht einmal von innen gesehen hat. Die ehemaligen Bewohner wohnten noch in dem Haus, deswegen durfte der neue Besitzer nicht hinein. „Ich habe es nur von außen gesehen und dachte: Die Lage ist cool, das Grundstück ist groß, das passt.“ Das Risiko konnte er eingehen. Der gelernte Dachdecker ist vom Fach und wusste: Er kann jede Bruchbude in eine wunderschöne Wohnung für seine zwei Töchter, seine Frau und sich verwandeln.

Es geht nur besser
Kein Wunder, dass Christian Kattler es eilig hatte, ein neues Zuhause zu finden. Eingeengt wohnte die vierköpfige Familie damals mit zwei großen Hunden in einer 55 Quadratmeterwohnung im Erdgeschoss. Sie wollten Platz und Licht und hoch hinaus unters Dach. Das ersteigerte Haus ist ein Zweifamilienhaus aus den 50ern. Der neue Besitzer wollte zunächst gar kein anstrengendes Sanierungsprojekt beginnen. Er überlegte, stattdessen ein neues Einfamilienhaus im Garten aufzustellen oder eine Tiefgarage in das Untergeschoss einzubauen. Das Bauamt machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Also beschloss er, das Haus doch zu sanieren, die Einliegerwohnung im ersten Stock zu erhalten und für seine Familie das Dachgeschoss auf zweieinhalb Ebenen auszubauen.
Mit Persönlichkeit
Christian Kattler liebt das Leben unter all den Dachschrägen: „Ich mag es nicht, wenn alles glatt ist. Die Wohnung ist nach und nach gewachsen und das soll man sehen.“ Eine Standardwohnung reicht ihm nicht. Jede Ecke, Schräge und Kante sind liebevolle Spielereien. Jedes Dachfenster und jeder Anbau verwandeln die Dachschrägen in hellen Wohnraum. Die Ideen seiner Frau und Töchter flossen mit ein. Eigentlich wäre der Kinderbereich mit einer Wand vom offenen Wohnbereich getrennt gewesen. Bibi Kattler fand: Die Wand muss weg. Stattdessen: eine offene Treppe. Und eine Empore auf halber Ebene vor den Kinderzimmern. Mehr Platz zum gemeinsamen Spielen. Ihr Mann wollte nicht mehr abreißen, er wollte endlich aufbauen.
„Also habe ich ihr einen Hammer in die Hand gedrückt und gesagt: ‚Hier, mach. Oder ruf an, wen du willst. Die Wand muss bis nächste Woche draußen sein, dann mach ich den Rest‘.“
Sonnenbrille im Haus
Vielleicht liegt es daran, dass er Dachdecker ist, aber Christian Kattler liebt Dachfenster: „Bei einem Dachfenster bricht sich das Licht ganz anders“, schwärmt er. „Jeden Tag, zu jeder Tageszeit fällt es anders in den Raum.“ 35 Dachfenster in den unterschiedlichsten Ausführungen erhellen seine Wohnung. So viele, dass er sich schon fragt, wo er noch Platz für eine Photovoltaik-Anlage finden soll. Dafür ist es hell: „Als wir nach neun Monaten Sanierungsarbeiten pünktlich zu meinem Geburtstag im Juli eingezogen sind und die Wände frisch weiß gestrichen waren, mussten wir drinnen Sonnenbrillen aufsetzen“, erinnert sich der Bauherr lachend.

Showroom
Damit es die Sonnenbrillen im Sommer drinnen nicht mehr braucht, gibt es außenliegende Sonnenschutzmarkisen. So bleibt die Wohnung in der heißen Jahreszeit kühl. Sensoren messen Raumluftwerte und steuern Fenster und Verschattung automatisch. Nur im Schlafzimmer und den beiden Kinderzimmern gibt es Rollläden zum nächtlichen Abdunkeln. Ein wenig bereut der Bauherr diese Entscheidung. Im Sommer müssen die Rollläden auch tagsüber unten sein, damit es nicht zu warm wird. Dann müssen die Kinder das Licht anmachen, wenn sie in ihren Zimmern spielen. All diese Erfahrungen gibt der Dachdeckermeister weiter. Wenn sich seine Kunden nicht entscheiden können, welches Dachfenster das richtige ist, lädt er in seine Wohnung ein und zeigt, wie die unterschiedlichen Fenster im echten Leben aussehen.
Geheime Höhle
Die Kinderzimmer liegen über der Scheune, auf halber Ebene zwischen den beiden Dachgeschossen. Als gemeinsamer Spielplatz ist der offene Raum davor beliebt. Von dort aus führt eine steile Leiter in eine Höhle direkt unter das Dach über den Kinderzimmern. „Wenn Freunde da sind, machen wir da oben Bettenlager“, erzählt der Bauherr. „Da haben wir schon acht Kinder unterbekommen.“ Koffer oder Deko müssen sie dort nicht verstauen – das liegt alles unten in der Scheune, in der auch eines der Autos steht. Über dem Auto haben sie eine Ebene eingezogen. Auf 60 Quadratmetern hat Bibi Kattler Stauraum, aus dem sie zu jedem Anlass die passende Deko hervorzaubert.
Freizeitstress
Ausgebaut hat der Bauherr in Eigenregie nach der Arbeit und am Wochenende. Freunde und Verwandte haben geholfen. „Ich habe immer gesagt: Kommt gerne vorbei, wenn ihr Zeit und Lust habt. Für Essen und Trinken ist gesorgt, um sechs geht’s los.“, erinnert Christian Kattler sich. Dennoch war es ihm wichtig, den Großteil der Arbeiten allein zu machen und von niemandem abhängig zu sein. Leicht war das nicht: „Es ist einfach, sich zu verrennen oder die Lust zu verlieren“, sagt er. Als er nach neun Monaten konstanter Arbeit bis spät in die Nacht in sein neues Zuhause einzog, merkte er, wie sehr er an seine Grenzen gekommen ist: „Danach war ich bestimmt ein Jahr lang grunderschöpft.“ Schließlich kam der Bau immer wieder mit neuen Herausforderungen. Eine davon ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben.
Finstere und stürmische Nacht
Kaum hatte Christian Kattler das Haus abgedeckt, begann es zu regnen und zu stürmen. Und es hörte erst zwei Wochen später wieder auf, als das Haus vom neuen Dach geschützt war. Zwei Wochen stand es im Regen ohne Dach, während der Dachstuhl saniert wurde. Der Bauherr erinnert sich genau an den Moment, als sein Bruder, der damals im ersten Stock wohnte, ihn anrief und warnte, dass es durch seine Zimmerdecke in die Wohnung regnet: „Du musst herkommen, alles fliegt weg!“ Es war Samstagnacht, um ein Uhr früh. Ganz registrieren konnte Christian Kattler die Nachricht nicht. In Schlappen, Jogginghose und T-Shirt hechtete er zum Haus, um die Dachplane wieder zu befestigen: „Es hat gewütet, ich habe gefroren und es hat bestimmt zwei Stunden gedauert, bis wir alles gerichtet haben. Das war Chaos pur.“ Heute können beide Brüder über die stürmische Nacht lachen: „Es war wahnsinnig spannend. Wenn etwas schief geht, macht das den Bau erst einzigartig.“
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