Fotos: Velux / COASToffice / David Franck


Vorsichtig tasten sich Zlatko Antolovic und seine Frau Anja Richter durch die sechsstöckige Scheune. 300 Jahre alt ist das Lager, seit vielen Jahren steht es leer. Durch die Decke tropft der Regen, der Holzboden knirscht. Es riecht nach nassem Holz und Maschinenöl. Die beiden müssen aufpassen, dass sie nicht stolpern. Über die Jahre hat sich das Haus Richtung Stadtmauer geneigt, die Böden sind schief. Bis zu einem halben Meter fallen die Geschossebenen ab. Beide sind Architekten, doch auch Laien hätten auf den ersten Blick gemerkt: Die Scheune ist stark sanierungsbedürftig. Trotzdem erkennt das Paar das Potenzial.
Der Blick durch die kaputten Dachziegel über die Dächer von Waiblingen und über die Rems ins Grüne war einfach bestechend.“
Potenzial statt Einschränkung
Zlatko Antolovic gründete mit Alexander Wendlik das Architektenbüro „COASToffice“. Zusammen haben sie mehrere historische Gebäude saniert. Die Scheune wird ein weiteres Projekt. In den unteren drei Stockwerken sollen die Büros des Architekten-Teams einziehen. In den oberen drei will Zlatko Antolovic mit seiner Familie leben. Es dauert ein Jahr, bis der Plan steht und die Genehmigung erteilt ist. Die Scheune ist denkmalgeschützt, sie steht eng gedrängt mitten in der Stadt, die Statik ist abenteuerlich, die Nutzung wird geändert – wo früher Traktoren und Heu lagerten, sollen nun Menschen leben. Da braucht es moderne Technik wie eine Fußbodenheizung. Die Architekten wissen, dass der Bau mit Auflagen verbunden ist, dass sie sich mit Denkmalamt, Brandschutz, der Stadt und dem Baurecht abstimmen müssen, und dass es ohne Kompromisse nicht geht. „Das Wort ‚Kompromiss‘ hört sich so negativ an, aber er kann Potenzial eröffnen“, betont Zlatko Antolovic.
Es war immer ne Scheune. Wir wollten nicht so tun, als wäre es ein elegantes Stadthaus gewesen.“
Das Loch im Boden
Hier beweist sich die Stärke der Architekten. Sie lassen sich auf den Bestand ein, reagieren darauf. „Mitspielen“ nennt Zlatko Antolovic das. Ein Beispiel: In der Scheune war ein Flaschenzug eingebaut, um Heu, Stroh und Kisten in die höheren Stockwerke zu hieven. Natürlich hätte er die Löcher einfach zumachen können. „Das wäre einfacher gewesen“, resümiert er lachend. Doch er will das Loch baulich sinnvoll integrieren. „Ich nehme das Loch auf und zitiere es“, erklärt er. Lösung: eine Box, die sowohl Treppe als auch Stauraum ist.

Echt schräg
Schiefes Haus? Auch dafür gibt es eine Lösung. Die Architekten graben tief und stellen das historische Holz-Skelett auf neue Beine, geben ihm an relevanten Stellen ein Stützkorsett aus Stahlstützen und -trägern. Schiefe Böden gleichen sie mit Estrich aus. Die Stadtmauer, die jahrzehntelang das Gewicht des kippenden Hauses ausgehalten hat, sanieren sie denkmalgerecht. Heute dient die Bruchsteinwand als vierte Wand und Hingucker. Loch im Boden, schiefe Mauer, verfaulte Giebel – gab es einen Moment, in dem es Zlatko Antolovic zu viel wurde? Ganz und gar nicht. Er war vorbereitet. Er ließ zu Beginn den Bestand untersuchen und wusste, was ihn erwartete. „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nie“, räumt er ein. „Aber immerhin zu 90 Prozent wissen wir, was uns erwartet.“ Klar, so ein Projekt ist nicht für jeden. Es braucht ein finanzielles Polster, Geduld und Zeit – allein die Sanierung hat zwei Jahre verschlungen. Doch für das Ehepaar hat es sich gelohnt.
Ein historisches Gebäude erzählt etwas. Ein Neubau muss sich die Geschichte erst erarbeiten.“
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